Journal von Iya Habiba

10 Jahre Terra Sagrada
Unser Casa feiert in diesem Jahr sein 10-jähriges Wirken. Dankbar sind wir den Traditionen der Orixás verbunden, die in kleinen Gemeinschaften, oral überliefertes Kultur- und Ritualgut hüten und leben. In Afrika, in den Amerikas, in Europa. Es mag unter den vielen Ilès, Terreiros und Templos, Voduns, Umbandas, Santerias grosse Unterschiede geben und doch gehört diese, sich selbstorganisierende, Vielheit zum zentralen Herz dieser „Religio“.
Die Orixás finden ihre Wege, ihre Getreuen und ihre Häuser - so erzählen es die Älteren. Wie schön, dass sie uns gefunden haben, dass sie uns an ihrer Weisheit und Kraft teilhaben lassen, uns in ihre Schule der Grosszügigkeit aufgenommen haben und uns das Heilige im Leben zeigen. Das will gewürdigt und gefeiert sein! So laden wir 2016 nicht nur zu Giras sondern auch zu Jubiläumsfesttagen. Oxum quis assim, so wollte es Oxum! Herzlich willkommen,
Iya Habiba de Oxum, Juli 2016

Wege der Orixás
In die grosse Natur, ihre Kreisläufe und Elemente, ihre nährende Erde und ihren atmenden Himmel, in das fortwährend ausgleichende Spiel der Kräfte - in all das sind auch wir Menschen geworfen. Dort, wo wir diese Verbundenheit feiern, wo wir das Zusammenspiel tiefer begreifen, wo wir unser Wirken in Liebe und Mass im Ganzen sehen wollen, dort entstanden und entstehen spirituelle Natur-Traditionen.
Die Tradition der Orixás, wie sie in diesem Terreiro gepflegt wird, ist eine davon. Ein spiritueller Erfahrungsweg, der Hingabe und Disziplin erfordert, Rituale, die der Magie des Lebendigen Ausdruck schenken und Heilräume, die Reinigung, Erneuerung und Wiederverbindung ermöglichen.
Inspiration beim Lesen dieser Seite und segensreiche Begegnungen in den Giras und anderen Heilräumen wünscht Ya Habiba de Oxum, Juli 2015

Rôra yèyé o - Modúpe Ìyá dé o
Oxum, Oshun o, Yèyé o - in tausend Weisen Fliessende, immer wieder neu.
Als königliche Mutter Reichtum Liebende.
Als stille Alte Schicksal Lesende.
Als schöne Rebellin Aufbruch Gebärende.
Alles durch dich, du Wasser. Hier auf Erden, alles durch dich.
Entstehen. Vergehen. Wandel, alles durch dich.
Komm, Yèyé, segensreich. Zeig dich in tausend Weisen immer neu.
Lass uns dich leben, auf allen Wegen, immer neu.
Lass dich erinnern, tief und weise, dich tanzen zärtlich und gross.
Lass die Welt und wir in ihr, geboren werden, immer wieder neu, Yèyé o.
Unermesslich der Dank für dein Dasein, Yèyé!
Modúpe Ìyá dé o!
Ya Habiba de Oxum, Juni 2014

Casa da Cura
Das Heilige und das Heilende sind in indigenen Weltenempfindungen Zusammengehöriges und beides ist unmittelbar verbunden mit Natur.
Der Mensch, seine Sorgen, Nöte, Krankheiten und Kriege sind – aus dieser Perspektive – nie nur menschlich, von Menschen zu Menschen unter Menschen. Sie sind Teil einer grösseren Familie, eines grösseren Wir, eines grösseren Raumes, der die Landschaft, die Erde, die Pflanzen, die Steine, die Gewässer und Tiere mitmeint.
   Heiliges lebt zwischen Mensch und Natur und ebenso Heilendes. Rituelle Heilkunst ruft und weckt die Beziehungskraft zwischen Mensch und Raum, sie erinnert an das Verbundensein und schmilzt den Autismus unserer menschlichen Selbstbezüglichkeit. Jeder Orixá ist aus dieser Perspektive Gottheit und Heilkraft, auch wenn es unter ihnen jene gibt, die dem Heilen im Besonderen geweiht sind.
   So zum Beispiel Ossaim. Und wenn Ossaim besonders wirkt, dann nicht, weil er die Menschen und ihren Organismus besonders gut kennt, sondern weil er – so erzählen die Mythen – für lange Zeiten durch Wälder gezogen ist, lauschend, staunend, lernend. Weil der die Beziehung zwischen Mensch und Wald studiert, Gleichgewicht und Ungleichgewicht gesehen hat. Die Medizin von Ossaim ist kein Kraut, das einfach Wunden heilt. Die Medizin von Ossaim weckt Erinnerung für das grössere Gemeinsame, in dem Wunden aber auch Wunder geschehen. Saravá Ossaim! Euassa!
Yá Habiba de Oxum, März 2014

Puls der Erde
Wir mögen es inmitten aller Maschinen, inmitten der Taktung unseres beschäftigten Lebens, inmitten aller belegten Analysen, nicht mehr hören, auch nicht sehen oder begreifen: Die Erde lebt, pulsiert, tanzt. Sie hat ihre Gesetze und ihre Rechte, ihre Sprache. Und sie kann mit uns gemeinsam tausenderlei Geschichten erzählen und entdecken.
     Ein Terreiro ist ein Raum, in dem die Lebendigkeit der Natur geschaut, erlauscht, berührt, gefeiert, geehrt und besungen und betanzt wird. Es ist eine Schule, in der die Einbettung und Verbindung der menschlichen Wahrnehmung mit der Erde und ihren Kräften im Zentrum der Praxis stehen. Es ist eine Tradition, die alten Weisheiten folgend, den Puls der Erde wahr nimmt.
     Es ist Ehre und Aufgabe, die Impulse, die uns daraus entstehen, in rituelle Handlungen zu bringen - sodass die alten Künste der Verbindung und des Austauschs mit dem grossen elementaren Reigen lebendig bleiben. Die aus vielen Kulturräumen zusammenfliessende Kosmologie, wie sie heute in Umbanda und Candombléhäusern praktiziert werden, weisen ein grosses Spektrum und naturgemäss unterschiedliche philosophische und rituelle Praktiken auf. Mit grosser Freude trägt die Terra Sagrada, Ilê Axé Oxum Abalô mit ihren Obrigações und Festen, ihren Heil-Ritualen und öffentlichen Giras ihren Teil dazu bei.
Que Oxalá lhe abençõe, Yá Habiba de Oxum, Oktober 2013

Im Sommer des siebten Jahres...
blüht und gedeiht der Garten des Terreiros prächtig. Er will berührt sein, durchwühlt, gepflegt, er will aber auch in Stille wahrgenommen,  ja mitunter ganz in Ruhe gelassen werden. Nur so kann er sich zeigen, seine Schönheit und Kraft.
Der Weg der Orixás, den die Terra Sagrada seit nun sieben Jahren in Mitteleuropa geht, ist ein Garten. Er ruft nach Einsatz, fordert Geduld, er will hinterfragt sein, aber auch genützt und genossen - so fliesst es durch die alten Wurzeln und das Rad der Zeit zu uns her und wirkt als "Religio", als etwas "wieder und wieder Verbindendes." So ein Weg ist grosser Strom und schmaler Grat zugleich. Wo ist Hingabe eine Geste der Liebe und wo wird sie zum blinden, gar zerstörenden Akt? Wo ruft die Erfahrung von Schutz eine Öffnung unseres Seins und wann ist der derselbe Schutz Nährboden für fundamentalistische Verschlüsse? Wo wirkt das Wunder des Heiligen als Lockruf des fortwährenden Forschens und wann wird es Instrument verquerer Machtstrukturen? Wo ist der gute Platz für den klaren Verstand, für die nüchterne Betrachtung, für den logischen Diskurs in einem Weg, der über Ekstase lehrt?
Ich bin dankbar, nicht nur dem Reichtum des Weges, sondern auch dafür, dass er und die Zeit in der wir leben, auch solchen Fragen Raum lässt. Ja, mehr noch: auffordert sie zu stellen. Im Sommer des siebten Jahres stehen wir inmitten eines prächtigen Gartens, aus der Tiefe dankbar für den Tanz von Olorun und Aiyê, dem Unsichtbaren  und dem sichtbaren Raum.
Que Oxalá lhe abençoe. Yá Habiba de Oxum, Juli 2013

Iroco - Tempô - Zeitenbaum
In vielen Kulturen dieser Welt spielen die Bäume eine besondere Rolle. Die Axis Mundi, der Weltenbaum verbindet Erde und Himmel und lässt unter seiner Krone die Geschehnisse und Geschicke des Lebens zu sinnstiftenden Geschichten werden.
Iroco kann unsere konkreten Lebensgeschichten in den bunten Reigen ewiger Motive einschmelzen und in neuer Tiefe wieder ausspucken. Iroco ist auch Sinnbild für das "Wir", in das wir Menschen gestellt sind. Sind wir doch nicht, selbst wenn es mancherorts den Anschein hat, nur Menschen unter Menschen. Nein, wir sind Menschen unter Bäumen, zwischen Pflanzen, auf Erden mit Steinen, inmitten von Tieren und anderen Wesen, wir sind ein Wir einer vielschichtigen Welt. Dieses Eingeschmolzen- und Ausgespuckt-Werden inmitten eines grossen "Wir" in all seinen Widersprüchen und Eigenwillig-
keiten zu ertragen und zu geniessen, das ist die grosse Schule von Iroco, dem Orixá der Bäume, der in der Linie von Angola oft den Namen Tempô trägt und alle Rituale dieser Tradition unter seinem Schirm aufnimmt. Tempô, der Zeitenbaum, die Hüterkraft der Erinnerung, die unaufhörliche Brücke zwischen den Welten. Saravá o Tempo! Tempo oiô!
Yá Habiba, Februar 2013

Im Tanz des Lebens
Orixátraditionen sehen das Leben als einen Raum von Vielfalt, Zusammenspiel und Rhythmik sichtbarer und unsichtbarer Kräfte. Alles hat darin seinen Ort, seinen Sinn, seine Schönheit, seine Wirkung. Ihre Rituale schenken der Beseeltheit der Welt Ausdruck. Ihre Heilkraft schöpfen sie aus der pulsierenden Kraft des Irrationalen. Ihre Schule für uns Menschen heute und hier ist Vertrauen in den Tanz des Lebens und liebevolle, engagierte Zustimmung zum eigenen Part.
Wie schön, seit vielen Jahren in den öffentlichen Ritualen diese Tradition mit Gästen zu teilen und diesen spirituellen Weg mit so vielen aktiv Praktizierenden zu hüten und lebendig zu halten.
Ya Habiba de Oxum Abalô, September 2012

Herzensmut
Es gibt so viele Wege des Heilens: die Wege der Pflanzen und Säfte, die Wege der operativen Eingriffe, die Wege der verwandelnden Sprache.
Caboclos und Caboclas sind spirituelle Kräfte, die in vielen Wegen ihre Verbündeten, ihre Lehrer, ihre Zugänge haben. Ihre Meisterschaft liegt jedoch in der Verbindung zum Herzensmut: Dem Leben entschieden zustimmen. Den Lebensfunken gesammelt hüten. Die Geschenke freudvoll annehmen. Dafür tanzen sie, daran erinnern sie, dazu rufen sie auf.
Ya Habiba de Oxum Abalô, März 2012

Sich der Aufgabe im Ganzen erinnern
Bis zum Abendrot ist jeder Sonnenstrahl vergebens
wenn wir sehen was wir wollen

sagt ein Gedicht von Michael Lehofer1 und erzählt neben vielem anderem von einem wesentlichen Element spirituellen Lernens. Nicht sehen, was wir wollen, sondern das sehen, was durch uns gesehen werden will und gesehen werden kann. Nicht einfach leben, was wir wollen,  sondern das leben, was durch uns gelebt werden will und gelebt werden kann. Nicht nur tun, was uns gefällt, sondern hineinwachsen in ein Handeln, das uns, unserer Geschichte und unserer Gegenwart entspricht.
Die Arbeit mit spirituellen Kräften, so wie es Orixátraditionen anbieten, ist ein Weg, der an unsere Seele und ihre Aufgabe im Ganzen erinnert. Der mit kleinen, oft unspektakulären Schritten hineingeleiten kann, in das, was uns ausmacht, unser Geheimnis, unseren Ruf. Vor kurzem habe ich in einer Tageszeitung etwa Treffendes gelesen: "Beweg dich auch, nicht nur deinen Avatar!" Um das geht es. Darum, dass wir die kleinen Schritte einfach und wirklich tun, nicht nur im Geiste. So nichtig oder so übermächtig, sie uns erscheinen mögen.
Und ich bitte um die Kraft der Caboclos, ihrem Schwung, ihrer Kraft, ihrem Mut, damit die Freude an den kleinen aber konkreten Handlungen im Leben noch weiter um sich greift und sich die Aufgaben, die aus dem Hintergrund den Sinn bergen, immer deutlicher und vielschichtiger zeigen können. Saravá os Caboclos! Okê Caboclos!
Ya Habiba de Oxum Abalô
1 Lehofer, Michael; Was wir der Liebe schuldig sind; Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec, 2007

Im Dienste der Verbundenheit
In einer Zeit, in der das Gebot des stumpfen Konsums die gesellschaftliche Organisation diktiert, elementare, soziale und spirituelle Ressourcen blind ausgebeutet werden, wir noch in so vielen historischen und aktuellen traumatischen Bewegungen verhaftet sind - in dieser Zeit liegt es nicht immer nahe, in der Liebe zu bleiben.
In der Liebe zu uns selbst, zu uns als menschliche Gemeinschaft, zu dem, was das Leben als Schöpfung ausmacht - jetzt.
Und doch: immer weiter in die Liebe einsinken, den Raum des Vertrauens auftauchen lassen, Dasein ganz - zum Leben, zum Handeln bereit. Das ist der Weg.
Wie glücklich bin ich, hat mich auf diesem Weg der Ruf der Orixás genommen und darf ich Schritt für Schritt die Tiefe und Vielfalt dieser spirituellen Tradition und ihrer Rituale erkunden, erleben, teilen und weitergeben. Sie sind Geleit und Herausforderung, Bündelung und Aufbruch.
Zutiefst dankbar bin ich allen Menschen und Kräften, die dazu beitragen, dass unsere rituelle Arbeit im Dienste der Verbundenheit wirken kann.
Möge der schützende Mantel der Liebe von Mamãe Oxum in den Giras und Assentamentos dieses Herbstes gegenwärtig sein und darüber hinaus....
Ora iê iê ô! Ya Habiba, August 2011

Was macht eine filha oder ein filho de Santo?
Orixá-Traditionen laden Menschen dazu ein, die vielen Wege eines "filhos de Santo" zu gehen. Orixás sind die in der Natur innewohnenden heiligen Kräfte. Es sind spirituelle Dimensionen von Quellen und Bergen, von Meeren und Wäldern, von Winden und Sonnen...
Ein filho, ein Kind, solcher Heiligkeiten zu sein, heisst manchmal in glückseliger Ekstase von ihrem Nektar genährt zu werden. Es heisst aber auch die Tradition der Hüterschaft für jene Kräfte, Elemente und Räume zu übernehmen. Für sie singen, für sie tanzen, für sie da sein und einstehen, sie wahrnehmen, in lebendiger Erinnerung behalten, sie pflegen und feiern.
Es bedeutet auch, der Welt und ihrem Lauf in Würde und Verantwortung, so grosszügig, mutig und offenherzig wie möglich zu begegnen. Nicht nur in den Ritualen auch im Leben, ganz konkret. Den eigenen Beitrag leisten, nicht mehr und nicht weniger. Möge uns dieser grossartig oder läppisch erscheinen - ungeachtet dessen: Einen Beitrag leisten. Das macht eine filha oder ein filho de Santo.
Mãe Habiba de Oxum Abalô, März 2011

Iemanjá - Urweib, Mutterkraft und Hüterin der Köpfe
Der 2. Februar gilt als der Festtag von Iemanjá - der spirituellen Kraft der Meere. Dann wird für sie gesungen, ihr wird gedankt und der heilig-exstatische Tanz der Filhas gilt ganz ihrer Umarmung.
Die Ozeane sind Räume der Schöpfung, der Grosszügigkeit, der Verbindung und des Gleichgewichts. Iemanjá hält die Waage zum grossen Feuer in und ausserhalb der Erde. Sie ist innig verbunden mit den Rhythmen von Licht und Dunkel, letztlich allen Rhythmen, die über Fruchtbarkeit und die Erneuerung der irdischen Ressourcen wachen. In den alten Mythen gilt sie auch als Hüterin der Köpfe. Wenn wir ihr zu Ehren Rituale ausrichten dann immer auch mit der Bitte im Herzen, dass in unsere Köpfe immer wieder Gleichgewicht, Einsicht, Vertrauen und Verantwortung einkehren mag, dass sie helfen möge, uns wieder zu verbinden mit dem guten Platz im Weltenlauf, zu unserem und zu ihrem Schutze. O doce Iaba! Odoyá Mamãe! Februar 2011, Yá Habiba de Oxum
 
Erde, Herz und Hand - Rituelle Gesten
Es war ein einfaches, kleines Ritual, in dem uns von der Bewegung erzählt wurde, die zwischen der Erde, dem Herzen und den Händen wirkt.
Davon, dass die Hände in vertrauendes Handeln kommen, wenn der Rhythmus des Herzens gehört und die tragende Kraft der Erde wahrgenommen werden kann. Und dass dieses Zusammenkommen von Erdwahrnehmung, Herzschlag und Handreichung dem Leben und der friedvollen Erneuerung dient.
Viele Gesten und traditionelle Haltungen im Tanz, der Kontemplation und im Ritual dienen dazu, solche Erkenntnisse nicht nur in unserem sprachlichen Bewusstsein lebendig zu halten sondern auch in uns ganz körperlich, ganz sinnlich, ganz leiblich wahrzunehmen.
Ich wünsche von Herzen, dass die Welt und wir Menschen nicht ganz damit aufhören, einander Gesten und Bewegungen zu lehren, die tiefe und liebevolle Geschichten in sich tragen.  Und dass wir die Freude und Ekstase erleben können, die entsteht, wenn sich ihr Zauber entfaltet.
Dezember 2010, Yá Habiba de Oxum
 
Ancestrais – die grossen Ahnenkräfte
Orixátraditionen sehen die Welt unentwegt von sichtbaren und unsichtbaren Kräften durchdrungen. In ihr tanzen Lebende und Ahnen, Natur- und Götterdimensionen vielschichtig ineinander verschlungen die „Urzeit und ihre Mythen".
Die Hinwendung zu diesem „Tanz" lässt uns mit Staunen und Schaudern erahnen, wie gross unser Eingebettetsein ins Leben wirklich ist, und wie wesentlich darin die friedvolle Verbindung und doch klare Grenze hin zur „Anderswelt" ist, in der die grossen Ahnenkräfte wirken.
Jenem friedvollen Verbinden bei schützenden Grenzen sind die Giras das Ancestrais dieses Herbstes in Wien, Graz, Zürich, Berlin und im Rheintal besonders gewidmet,
Yá Habiba de Oxum, September 2010
 
"Tief in dir, bist du, oh Mensch, der Gott als Baum, als Stein, als Tier"
Susanne Wenger, österreichische Künstlerin und Priesterin von Osun (Oxum) geb. 1915 Graz, Austria, gest. 2009, Oshogbo, Nigeria
Orixátraditionen erkennen "Heiliges" in den Kräften der Natur. Sie öffnen mit Tanz, Rhythmus, Gesang und Ritual einen Raum, in dem diese Kräfte nicht nur erlebbar, sondern auch lebbar werden.
Über sinnenhafte Erfahrung stiften sie liebevolle Beziehung zwischen Mensch und Natur, und sie stärken ein natürliches Eingebunden-Sein in den Fluss des Lebens.
Lebendige oder gar heilige Beziehungen zwischen Mensch und Natur, beseeltes, dialogisches und kooperatives Weltenverständnis kommen in unserer von Technik und Ökonomie bestimmten Zeit wie Narren daher. Solche Narren sind mir lieb! Wie schön, dass sie uns zum Tanz einladen und dazu beitragen, dass wir die Tradition der Orixás in der Terra Sagrada im deutschsprachigen Europa so freudvoll und tief praktizieren können. Olorum motumbá!
Ya Habiba de Oxum Abalô, April 2010
 
In der Freude sein
Viele Menschen, die eine Gira oder ein anderes öffentliches Ritual dieser Tradition besuchen, melden uns neben vielen anderen Elementen immer wieder eines zurück: Wie berührend es ist, dass spirituelle Praxis mit Freude, Kraft und Disziplin gelebt werden kann.
Sie sprechen mir aus dem Herzen. Tatsächlich ist es immer wieder ein kleines Wunder, wenn sich im gemeinsamen rituellen Singen und Tanzen, Freude ausbreitet und wie ein magisches Fluidum den Raum erfasst und die Wesen in ihm.
Freude lässt sich nicht erzwingen, nicht einüben, nicht herstellen - sie ist ein Geschenk, das wir annehmen können.
Caboclos, Pretos Velhos und Orixás sind offenbar grosszügig, was Freude anlangt. Sie freuen sich selbst an der Freude. So entstehen auf dem Weg ganz nebenbei viele Gelegenheiten für Filhos und Gäste, das Annehmen und Fliessenlassen von Freudenkraft zu erleben und das Heilsame und Heilige darin zu entdecken. Darüber bin ich als Mãe de Santo unendlich dankbar,
Yá Habiba de Oxum Abalô, Februar 2010
 
As Aguas de Oxalá
Zu Beginn eines neuen Jahres feiern viele Häuser, die der Orixátradition verbunden sind, die Rituale der "Wasser von Oxalá".
Dabei tauchen sie einmal mehr in einen Mythos ein: durchleben, erleben und erhalten ihn und die Kraft, die in ihm wohnt, in zeremonieller Verdichtung.
Hier erzählt die Geschichte von einem Alten, der auf der Reise zu seinem Sohn viele Demütigungen erleidet und letztlich unschuldig im Gefängnis landet.
Sieben Jahre bleibt er dort - still und geduldig aber im Herzen verbunden mit dem Recht - während das Land draussen langsam verwelkt und vertrocknet. Erst als der Sohn seinen Vater im Kerker entdeckt und dafür sorgt, dass er befreit, gewaschen, gepflegt, genährt, in neue Kleider gehüllt und wieder mit der Welt verbunden wird, kehrt neuer Segen ins Land zurück.
Die "Aguas von Oxalá" sind so Zeiträume der Erneuerung und Wiederverbindung: mit tiefer Einsicht, klärender Ordnung und jener Natur, die lebt und nährt.
Möge dieses neue Jahr begleitet sein von der weisen Geduld des Oxalufá und seiner Bereitschaft, die heilende Kraft des Wassers und die Wieder-Verbindung mit dem Weltenlauf weitherzig anzunehmen. Auch mit der Entschiedenheit und Kraft von Xangô Gleichgewicht zu suchen, dort, wo es auf der Strecke blieb. Und nicht zuletzt vom verwandelnden Wesen der erneuernden Liebe, das den süssen Wassern von Oxum innewohnt.
In grosser Liebe und Verbundenheit,
Ya Habiba de Oxum Abalô, Januar 2010
 
"Il faut manger la vie"
sagen Heiler aus Afrika, erzählte David Signer im Rahmen der Hörbuchvernissage Ilê Axé Oxum Abalô in Zürich. Ja, das Leben will gegessen werden, ganz, nicht nur aus der Distanz beobachtet, sondern innig gelebt, mit Haut und Haar. So ist auch der Weg der Orixás, ein Weg der Ekstase und Hingabe an das Leben, in dem sich sakrale und profane Räume durchdringen.Wir müssen das Leben essen, mit allem drum und dran eintauchen in die fortwährende Wandlung, in der wir und die Welt sich befinden.
Mit diesem tiefen Vertrauen, dass dann in uns Platz nimmt, mit dem lässt es sich leben und sterben - in vielen grossen und kleinen Aufgaben. In den vergangenen Wochen begleitet uns in diesem Prozess "O velho Omulú" - und ich bin dankbar für das oft unscheinbare und doch so mächtige, das in diesem Orixá der Transformation und Heilung beheimatet ist. In diesem Sinn sind die aktuellen Giras besondere Feste zu Ehren von Omulú/Obaluaiê - Atotô Ajubero!
Ya Habiba, November 2009
 
Olorun está no Aiyê...
heisst es in einem der Lieder. Es erzählt von Olorun, der Schöpfungskraft, die auf der Erde gegenwärtig ist. So einfach ist das Lied und doch so tief, wenn aus ihm Erfahrung wird. Olorun está no Aiyê ist eine achtsame und fortwährende Annäherung an das Lebendige und seine Mysterien. Dieser Bewegung Raum und Zeit, Rahmen und Mittel zur Verfügung zu stellen, ist die Aufgabe eines Terreiro.

Ich danke von Herzen für all die Stunden des gemeinsamen Tanzes, des Gesangs und der Schönheit der rituellen Räume drinnen und draussen in der Natur.
Und vor allem für die vielen Momente der Gnade, die sich schelmisch und grossartig, tröstlich und atemberaubend auftun können.
Ya Habiba, Sommer 2009
 
Ogum foi ao mar, para saudar a Yemanjá
Einer grossen friedvollen Begegnung von Ogum, dem Feuer, und Yemanjá, dem Meer, waren die letzten Rituale gewidmet. Und so wie nach dem Untergang der Sonne im Meer eine dunkle Nacht folgt, ehe das Licht sich wieder neu gebiert, waren die Barcos gefüllt von existentieller Tiefe und grossen Geschenken.
 
Ich danke allen Gästen und Filhos für ihr Vertrauen und ihre Hingabe sowie allen Entitäten und Orixás für ihren grosszügigen Schutz und ihr Geleit. Möge jene grosse Kraft in den Giras von Graz, Vorarlberg und Zürich sowie in Zukunft in den öffentlichen Assentamentos in Landsberg und Berlin weiterwirken.
März 2009, Yalorixá, Mãe Habiba de Oxum Abalô
 
Reisen zwischen den Jahren
Noch immer aufgewühlt, staunend und ergriffen bin ich im Nachklang einer grossen Reise, die zu indianischen Kulturen Südamerikas und damit zu einer wichtigen Wurzelkraft unserer Tradition führte. Ich danke jedem Tor, jeder Spur und jedem Moment, die uns mit der Tiefe dieses spirituellen Raumes unmittelbarer verbunden haben: Mit dem Verständnis von Communität, der direkten Beziehung zur Erde und in all dem immer wieder der innigen Ausrichtung zur Sonne. Mögen die Erfahrungen und Begegnungen zu einer guten Ordnung finden und als liebende Kraft in die Rituale und das Wirken der Terra Sagrada einfliessen. Ya Habiba, Januar 2009
 
Das Mysterium der Orixás
Vielleicht ist die Idee der Hingabe heute nicht modern. Die Hingabe an eine mystische Dimension des Daseins umso weniger. Und doch sind Orixás nichts Geringeres als das in Naturkräften innewohnende Heilige, das Numinose. Sie sind Prinzipien, Wirkstoffe des Lebendigen, Mysterien. Mit dem Assentamento der Feitura im November 2008 wird Terra Sagrada vom Segen von fünf Orixás „beatmet“: Xangô, Logunede, Oxum, Yemanjá und Tempo. Welch Reichtum und welch Geschenk, ihrer Manifestation, ihrer Schönheit und Einmaligkeit und ihrem kräftigen Wirken so nahe sein zu dürfen. Tausendmal sei Dank den Schutzkräften, die all das ermöglichen und geleiten. Axé, Ya Habiba, Dezember 2008
 
Spirituelle Organisationsformen
Die wahre Führung eines Terreiros sind die Orixás. Sie setzen Impulse, stellen Aufgaben, setzen Grenzen, sie belohnen, schicken Visionen, Einsicht und Ordnung. Sie sind das Leben, das Blut, das Herz, der Hauch des Systems.
So liegt die Kunst in der irdischen Organisation und der menschlichen Führungsstruktur eines Terreiros darin, eine Basis zu bieten, auf der sich Orixás manifestieren, ihre Impulse verstanden und in Handlung umgesetzt werden können. Es geht um die Herausbildung von Führungs- und Gemeinschaftsstrukturen, in denen die Orixás die aufmerksamkeitsbildenden Kräfte bzw. die inneren Quellen sind. Ya Habiba, August 2008
 
Lebendige Mystik
Die Liebe zum Leben pflegen, dem Sinn zwischen den Dingen und Zeiten folgen, uns bei lebendigem Leib dem fortwährenden Wandel aussetzen, Dasein und Atmen, in banalen Tätigkeiten das Ganze wahrnehmen, dem Mysterium lauschen und doch in Verantwortung sein für jeden Schritt.
In grosser Dankbarkeit für die segensreichen Momente der Vivencia sowie den Giras der vergangenen Wochen und im stillen, tiefen Vertrauen in das,
was uns als Nächstes ruft. Ya Habiba, Juli 2008
 
Dem Ruf folgen...
Es ist eine grosse Freude, Ehre und Verantwortung, die Tradition der Orixás in unserem Kulturraum zu pflegen. Dafür sorgen, dass die Rituale voll Tiefe und Sinn sind, dass das breite mündlich überlieferte Wissen weiter lebt, Strukturen hüten, die dem spirituellen Lernen dienen und in Bewusstsein und Bewegung hier einen Raum erschaffen, in dem sich das Materielle und Immaterielle liebevoll durchdringen.
Aus tiefem Herzen danke ich allen Menschen sowie allen inneren und äusseren Kräften, die dazu beitragen, dass die terra sagrada diesen Aufgaben gesammelt und humorvoll nachgehen kann. Ya Habiba, Mai 2008