3. März 2018, Konstanze Thomas
In einer gross angelegten Umfrageaktion an der sich immerhin 23.000 Menschen aus 111 Ländern beteiligten, suchten der Deutsche Sprachrat und das Goethe-Institut 2004 nach dem schönsten deutschen Wort. Im Wettbewerb war nicht entscheidend, wie oft ein Wort genannt wurde, sondern wie die Einsender ihre Wahl begründeten. So wurde von den Sprachexperten das Wort "Habseligkeiten" zum schönsten Wort gekürt.
Ich erinnere mich nicht mehr über welchen Link ich bei dieser nicht mehr ganz aktuellen Wortbewertung landete, aber die "Habseligkeiten" haben mich erwischt und mit ihnen die Erinnerung an meine Liebe zu einer fühlbaren Sprache, zu jenen Wörtern, die wir langsam vergessen, die sinnvoll und sinnlich Dinge beschreiben und dabei duften oder singen oder ein Körpergefühl hinterlassen als ständen sie als Repräsentanz im Raum. Vielleicht kenne nur ich das, ich hoffe nicht. Wenn ich lese, dann muss ich manchmal ein einzelnes Wort vielfach wiederholen weil es sich so gut spricht, so gut anfühlt, einfach am richtigen Platz ist oder wie ein Schatz der bewahrt werden will immer wiederholt werden muss. Ein Wortschatz im Wortschatz sozusagen. Und "Habseligkeiten" ist so ein Wort für mich.
Aber von vorn. Die Frau, die dieses Wort eingereicht hat, schrieb als Siegerbegründung: "Das Wort bezeichnet nicht den Besitz, nicht das Vermögen eines Menschen, wohl aber seine Besitztümer, und es tut dies mit einem freundlichen-mitleidigen Unterton, der uns den Eigentümer dieser Dinge sympathisch und liebenswert erscheinen lässt. Typischer Vertreter dieser Klasse von Eigentümern ist etwas ein 6-jähriges Kind, das den Inhalt seiner Hosentaschen ausbreitet, um sich am Reichtum, an der Vielfalt der geliebten Sammlung zu freuen. Oder das Wort bezeichnet – die mehr vom Mitleid geprägte Variante – den spärlichen Besitz dessen, der sein Zuhause verliert und sein karges Hab und Gut für alle sichtbar transportieren muss, zu welchem Unterschlupf auch immer."1
Mich berührt der Bogen den dieses Wort schlägt: da sind einerseits die vermeintliche oder offenbare Armut, Schutzlosigkeit oder auch Naivität und andererseits zeigen sich Stolz, Würde und Vertrauen darin. Ein ähnliches Bild entsteht in mir beim Wort "Sanzala", welches ja als Leitmetapher für diese Webseite und das Bildungshaus steht: Die Sanzala als kleine Hütte, nur mit wenig Hab und Gut bestückt, für die "Besitzlosen" und zugleich der Ort der Wahrung der Würde, der Wurzeln und der Verbindung zu göttlichen Kräften.
Als ich Freunden vor ein paar Tagen von meiner Habseligkeits-Entdeckung erzählte fiel uns auf, dass man das Wort in zwei Bedeutungen aussprechen kann. Legt man die Betonung auf den Anfang, das "Hab", wird der materielle Besitz, die "sieben Sachen" hervorgehoben. Betont man die zweite Silbe "se", ist der Fokus auf den "Seligkeiten". Das Wenige, was jemand hat, und wenn es auch für andere wertlos scheinen mag, reicht für die Seligkeit.
Nun ist "Seligkeit" in sich selbst ja ein Wort in dem schon vieles klingt, auch ein alter Schatz, der vergessen bzw. wegen Übernutzung verdrängt wurde. Ich spüre Ruhe und Frieden darin, auch Trost und Verzeihen, gelassene Lebensfreude und eine Prise Heiterkeit. Der Duden schreibt (neben der "Vollendung im Reich Gottes") als zweite Bedeutung von einem "tiefen rauschhaften Glücksgefühl". Grossartig, wer hat das nicht gern? Ein Zauberwort!, denn wenn ich es denke und in es eintauche, reagiert mein Körper unbewusst: niemals könnte ich "Seligkeit" mit hängenden Schultern und gesenktem Blick authentisch aussprechen. Meine Aufmerksamkeit geht in diesen Momenten nicht in Bilder oder konkrete Ideen von Seligkeit, sie bleibt beim sinnlichen Empfinden und Auskosten des Raums, den dieses Wort kreiert. Wie ein Seidentuch oder ein warmer Wind umfängt mich das Selige in diesem Moment. Die Gegenprobe mit z.B. "Subsidiaritätsprinzip" macht deutlich, was sinnliches Wahrnehmen hier meint. Mein Körper mit seinen Erfahrungen von Seligkeit ist dabei innerer Resonanzraum und spielt ein, woran er sich gern erinnert. Man könnte eine heilsame Meditation oder Imagination daraus entwickeln...
... und über der Freude daran, dass mein nötigstes Hab und Gut solches Glücksgefühl bewirken kann, den Boden des Tatsächlichen verlieren. Aber auf den kommt man schnell zurück, wenn man ein bisschen weiter googelt. Da erfährt man nämlich, dass "Habseligkeiten" mit dem Wort "selig" gar nichts zu tun haben. Es sind wortgeschichtlich keine "Hab-seligkeiten" sondern "Habsel-igkeiten". "Habsel" sind die wenigen Dinge, die jemand hat. "Habsel" sind die Verkleinerung von "Hab". "Sel" ist ein Diminutivsuffix, wie ich gerade gelernt habe, der auf Geringes, Weniges, Kärgliches, Belangloses hinweist und den wir auch gut von "Schnipsel", "Überbleibsel" oder "Geschreibsel" kennen.
Entzaubert? Beileibe nicht! (Im wahrsten Sinne des Wortes.) Für mich bleiben das "Habseligkeiten" mit der Betonung auf der zweiten Silbe. Da mögen Erfahrung und Wissenschaft auseinanderliegen, aber das ist ja nichts Neues. Und es trifft auch nicht nur jene, die wie ich, in diesem Feld nicht so sehr gebildet sind. Denn offenbar ist auch die Jury beim Wortwettbewerb dem Seligkeitszauber der Einsenderin auf den Leim gegangen. Sie schrieb nämlich weiter unten in ihrer Begründung: "Lexikalisch gesehen verbindet das Wort die zwei Bereiche unseres Lebens, die entgegen gesetzter nicht sein können: das höchst weltliche Haben, d.h. den irdischen Besitz, und das höchste und im irdischen Leben unerreichbare Ziel des menschlichen Glücksstrebens: die Seligkeit." Dieser Lapsus brachte dem Wettbewerb hernach natürlich einige Gegenstimmen und auch Fachgespött ein. Mir gefällt das freilich, ich erkenne mit verschmitzter Heiterkeit, dass offenbar auch für Wortfachleute das Klingen ihrer Studienobjekte noch nicht ganz verstummt ist.
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.
Mich bangt auch Ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Rainer-Maria Rilke
Apropos Gedichte: "Poesie" ist doch auch so ein Zauberklangwort. Mein Kopf hebt sich, wenn ich es spreche, und meine Gedanken verfolgen den Klang des Wortes in den Raum hinein, leicht nach oben in einer schwungvollen Schleife in Richtung Dachfenster. Wundervoll.
Sicher sind diese Bilder und Wahrnehmungen sehr individuell, ich bin nicht sicher, ob bei "Habseligkeiten", "Waldesruh" oder "Schlafgemach" jeder eine oder sogar eine ähnliche Berührungserfahrung macht. Es gibt noch viele solcher Ausdrücke im deutschen Wortschatz, die mich einnehmen, verzaubern und fast verführen können und oft sind es jene, die in unserer pragmatischen Moderne ein bisschen veraltet wirken. Aber es gibt auch Neuerfindungen mit Melodie. Andrea Maria Keller, eine Berner Lyrikerin mit appenzellischen Wurzeln, veröffentlichte 2013 eine Wortschöpfungssammlung die auf 99 Postkarten gedruckt ist. Sie kombiniert jeweils zwei vertraute Begriffe zu einem neuen Wort, was beim Lesen kurz verwirrt oder verunsichert und dann überraschend neue Räume öffnet:
Irrwegweiser. Luftschlossgärtner. Nichtsnutzniesser. Wunderlandstreicher. Und 95 weitere Formeln aus dem Zauberwortschatz.
1 Spiegel Online: 24. Oktober 2004, 14:38h: Schönstes deutsches Wort.
2 Andrea Maria Keller (2013): Tagediebesgut. 99 Wortschatzkarten. Edition Agathe Nisple, Appenzell
Quelle Bild Sprachverliebte:
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