27. Juni 2019, Bettina Grote & Hans-Peter Hufenus
B:
„Begegnungen von Nord und Süd“ ist die zusammengefasste Aussage der Sanzala – was verbindet sich damit? In Begegnungen von Menschen in und aus unterschiedlichen Ländern gelingt etwas vielfach in einem Moment, wenn Blicke sich treffen, Hände sich berühren, Gesten verstanden werden, etwas gemeinsam getan wird, das ist mein erster Gedanke. Was lässt sich aus Deiner Sicht gerade erzählen von der Begegnung zwischen „Nord und Süd“?
C:
In Sanzala wurde die Betonung einer Nord-Süd Ausrichtung als Gegengewicht zur vorherrschenden Ost- bzw. Westausrichtung in unserer kultur-vergleichenden und kultur-assimilierenden Ausrichtung proklamiert. Im Süden gibt es nichts zu holen. Das habe ich schon in meiner Jugend - es waren die sogenannten 68er Jahren - erlebt: Man suchte das Neue im Westen, in der flowerpower-Bewegung Kaliforniens, oder in den pazifistischen Ashrams Indiens. Und bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion gab es eben diese grosse Ost-West Orientierung in der politischen Kontroverse zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Gesiegt hat dann schlussendlich die „westliche“ Kultur. James Hillman ortet dieselbe Ost-West-Orientierungsausrichtung in unserer jetzigen Kultur: die transhumanen Heilsversprechen aus dem kalifornischen Silikonvalley bzw. die transzendenten des östlichen Yoga. Auch er plädiert für eine mehr südliche Orientierung, womit er allerdings die altgriechische Kultur meint. Meine eigenen Reisen haben mich seit jeher meist nach Südamerika geführt, wo ich allerdings mit Ausnahme der archäologischen Verortungen keine eigene „südliche“ Kulturidentifikation antraf, sondern eine primär „westliche“. Mit Ausnahme der begrenzten indigenen Gruppen in den Andenländern, und in Brasilien, vor allem in Bahia, wo mich die Herzenswärme der Menschen immer wieder „afrikanisch“ anmutete. Nun erzählt mir Habiba aus einem Buch über Afrika, das sie gerade liest, dass der Autor schreibt (Richard Dowden, Africa, 2015), dass es sich zwar bei Afrika um einen grossen Kontinent mit ganz unterschiedlichen Kulturen handelt, aber das es etwas gibt, das man in allen schwarzafrikanischen Ländern Afrikas antrifft, das ist die Herzenswärme der Menschen. Und mir selbst ist auch aufgefallen: Schwarze – oder soll ich sagen, Schwarzafrikaner, oder native african? – lachen gerne.
Auf unserer Reise nach Mosambik ist mir dann aber auf einmal bewusst geworden, dass es in Afrika auch eine interessante Ost-West Unterscheidung gibt: Mir ist schon früher beim Betrachten von Fotos auf google earth aufgefallen, das in Westafrika der Himmel meistens grau ist, in Ostafrika aber blau. Auch wusste ich, dass unsere Vorfahren, sowohl Australopeticus, also auch Erectus und schlussendlich Sapiens alle aus Ostafrika kamen. Und auch der Sklavenhandel wurde in Ostafrika erfunden, da es erst die Araber waren, die Menschen aus Ostafrika holten. Es ist wahrscheinlich auch so, dass die Portugiesen den Sklavenhandel von den Arabern in Mosambik gelernt haben. Noch etwas hatten die Portugiesen aus Ostafrika: die Kaurimuscheln. Dort findet man sie heute noch in grossen Mengen am Strand, während sie in Westafrika als Geldmittel hoch im Wert waren.
Und dann gibt es noch eine weitere afrikanische Ost-West Geschichte, die von uns nicht so wahrgenommen ist, das ist die neue Kolonialisierung durch China. China ist überall präsent mit Rohstoffgewinnung, Fabriken und Warenhäusern. Ich wollte ein Fila – die traditionelle Kopfbekleidung für Männer – auf dem Markt kaufen, sie waren alle „made in China“.
B:
Herzenswärme beschreibt gut das, was in Begegnungen von Mensch zu Mensch mit dem einen Augenblick oder Händedruck oder mit dem ersten Wort oder eben Lachen fließen kann –unabhängig von der Herkunft und Sprache der Menschen – würde ich sagen.
Deine Reiseerfahrungen in Afrika habe ich ja nicht, doch kann ich aus der Zeit in Jamaica, in der 95 % der Bevölkerung als „black“ gezählt werden, in Erinnerung an Begegnungen mit Menschen insbesondere in ländlichen Gegenden, oder auch durch die Eindrücke in Brasilien, etwas daran anschließen.
Folgen wir dem Eindruck und der Idee, Herzenswärme sei in besonderem Maße mit Menschen in Afrika verbunden. Gelangt sie dort freigebiger in die Welt und zu den Menschen nebenan und gegenüber? Woraus speist sie sich? Gehört der vertraute Boden unter den Füßen (dabei denke ich an Erde, Holz, Sand) und der bekannte Himmel (sei er blau oder grau) über den Menschen dazu, dass Herzenswärme fließt? Gehören vertraute Menschen dazu? Steckt darin auch die Überlegung, Herzenswärme sei etwas den Menschen ursprünglich Entströmendes? Aus einer Zeit als Kauris noch nicht zu einem Geldmittel geworden waren, sondern Muscheln einfach am Strand lagen? Ist mit der Ausbreitung der Menschen, mit ihren Wanderungen und ihrer Besiedelung aller Kontinente etwas von der Herzenswärme zurückgeblieben?
Zu Herzenswärme kommen Assoziationen wie frei, direkt, von Mensch zu Mensch – ohne jede Zwischenschicht. Dabei sehe ich das nicht nur bilateral. Vielleicht ist Herzenswärme auch etwas, was sich herstellt, zum Beispiel in einer Gruppe. Auch in den Ritualen, deren Formen wir innerhalb des Ile Oxum Abalo immer wieder neu mit Rhythmen, Gesang und Tanz gemeinsam feiern, entsteht und wirkt und fließt hinein und kommt heraus Warmherzigkeit, die auch Gäste erreicht bzw. einbezieht. Du erwähnst Lachen, dazu würde wohl noch passen Lebendigkeit und auch Großzügigkeit, ein vorbehaltloses, unmittelbares Reagieren auf Mitmenschen, auf die Umwelt und manchmal auch ein schlichtes Gefühl von Liebe. In den Begegnungen mit den Entitäten, wie sie die Umbanda ruft, finden wir ebenfalls Herzenswärme, vielleicht auch Güte. Möglicherweise sind hier auch die pretos velhos/as, jene Entitäten, die mit der Erde und Geschichte Afrikas verbunden erlebt und gedacht werden, die MeisterInnen der Herzenswärme. Sie geben diese großzügigst, und sie nehmen sie in Umarmungen auch an, so scheint es.
Kurz: Was ist Deine Vermutung, warum Herzenswärme in Afrika oder Bahia so stark spürbar wird? Gibt es einen Bogen zu den Naturreligionen und Orixátraditionen? Und was lässt sich zum „Norden“ sagen? In dem es ja Herzenswärme auch gibt!
C:
Ich denke, die Herzlichkeit gehört zum genetischen Gut der Ur-Menschheit und dieses kommt im afrikanischen Gengut noch dominanter zur Wirkung kommt. Bin eigentlich auch überzeugt, dass die Neandertaler herzlich waren. Und die lebten zwar im Norden, waren aber auch ursprünglich Emigranten aus Afrika.
Djamila Raunitschka hat mir einen Reisebericht von Paul Wernicke von der Wildnisschule Hoher Fläming zugestellt, wo er über seine Erfahrungen mit den Ju/‘Hoansi berichtet. (Die Ju/‘Hoansi gehören zur Jäger-Sammler Volksgruppe der San in der Kalahari, die die älteste lebende Homo Sapiens sind). Er schließt seinen Bericht mit diesem Satz:
Mein Eindruck nach diesem gemeinsamen Abenteuer war, dass es sich bei den Buschleuten, die wir dort kennen gelernt haben, um das Wesentliche dreht, es ist wichtig den Moment als das wahrzunehmen was er ist, es geht darum glücklich zu sein und andere glücklich zu machen. Es ist eine Kultur des „Ja“ Sagens, „Gadscha!“, alles ist gut.