Go back and get it

18. Dezember 2017, Dorothea Kurteu

Vom Ruf der unruhigen Geschichten
Begegnungen in Vorbereitung der Filmtage
“Òrun Àiyé - Orixás im Film” 29-30 Dezember in Stein/AR

“Thanks for your invitation to screen my film The Summer of Gods at your event.
What a great initiative. I confess I’m really impressed to find out about Terra Sagrada in Switzerland. It’s amazing how our tradition traveled all over the world and remains alive everywhere.” (Eliciana Nascimento, Filmemacherin)
 

Voodoo neu erzählen

Eliciana Nascimento ist eine Vertreterin einer jungen, vorwiegend weiblichen, Generation von Filmschaffenden, die in den letzten Jahren - vor allem in Brasilien - starke und wichtige Filme zu Themen der People of African Heritage macht.

Wie in “The Summer of Gods” oder “Òrun Àiyé - a criação do mundo” wählen sie die alten Geschichten und Mythen für ihre Filme, oder reisen für dokumentarische Arbeiten auf Spuren ihrer Ahn_innen nach Afrika - wie in “Pedra da Memória” oder “Merê”.

In einer noch immer rassistischen brasilianischen Gesellschaft, in der in den letzten Jahren vermehrt aggressive Übergriffe von Christlichen Fundamentalisten auf Casas des Candomblé und der Umbanda stattfinden, erzählen sie selbstbewusst die Geschichten vom Schmerz und der Kraft der Menschen, von der lebendigen, zeitgemäßen Weisheit der Orixás und der oft atemberaubenden Schönheit dieser Naturtraditionen.

Wo das Bild des Voodoo vom Hollywood Mainstream durch Grauen, dunklen Zauber und Zombies definiert ist, sind die Darsteller_innen ihrer Filme vielschichtige Geister und Archetypen, die sich zwar durch eine US-amerikanische oder europäische Brille schwer fassen lassen, die aber zum Wohle der Welt wirken wollen. Und die Kontakt suchen zu den Menschen, die bereit sind, diese Andere Welt anzunehmen.

In “The Summer of Gods”  sind es Yemanjá und Oxúm, Orixás des Meeres und des Süßwassers und der trickreiche Exú, die die kleine Lilli in ein Abenteuer rufen.

“Für mich war es wichtig diese Geschichte zu erzählen, um unsere Traditionen in diesem positiven Licht bekannt zu machen und ihnen Wert zu geben.” sagt Eliciana Nascimento
 


Da Animação ao Debate (Von der Animation zur Auseinandersetzung)

Kinder sind ein wichtiges Publikum für viele Filmemacherinnen. Jamile Coelho und Cintia Maria haben deshalb das Mittel der Animation gewählt. In “Òrun Àiyé - a criação do mundo” erzählt Bira (Vorbild für diese Figur ist der Historiker Ubiratan Castro de Araújo) seiner Enkelin Luna den Mythos der Erschaffung der Welt durch Oxalá.

Die Filmemacherinnen wünschen sich, dass Schwarze Kinder und Jugendliche sich wieder neu verbinden können mit der Welt ihrer Ahn_innen, nicht nur mit der Tragödie, sondern auch mit dem Reichtum ihrer Geschichte. Und sie wünschen sich, dass daraus Kraft und Selbstbewusstsein für das Leben Hier, Heute und Morgen wächst.

Estandarte Produções, die Produktionsfirma der beiden Regisseurinnen, hat die Initiative “Candomblé - direito de um povo” (Candomblé - das Recht eines Volkes) ins Leben gerufen. In dieser und anderen Initiativen engagieren und vernetzen sich Künstler_innen, Historiker_innen, Soziolog_innen, Psycholog_innen in einer aktiven, in der Öffentlichkeit sichtbaren, Community, um Rassismus und Religiöser Intoleranz entgegenzutreten.
 


“It is wonderful to know of Terreiro Terra Sagrada communities in Europe.  I had no idea … Actually, I will be in Zurich this summer! [...]
I really love your video to Oxum. So lovely! Parabens! I have often thought of broadening my scope to include Cuba and other parts of the Diaspora. [...]
My journey with this film Yemanjá in Bahia began in 1997... and was finally completed in 2015. Many tests, tears, blessings and joy along the way.  I wonder if this is the path my own work should take forward."
(Donna Carole Roberts, Dokumentarfilmerin)
 


Ancient knowledge. Timeless values. A universal story for humanity today

Donna Carole Roberts, Expertin für Umweltfragen und Nachhaltigkeit war 1997 im Rahmen der “Rio + 5” Konferenz der Vereinten Nationen als Journalistin in Brasilien, als ihre Reise mit dem Filmprojekt “Yemanjá - Wisdom from the African Heart of Brazil” begann.

Anders als Eliciana, Jamile oder Cintia, die unmittelbar auf die Geschichten ihrer Mütter, Großmütter und Ahn_innen zurückgreifen, war Donna, als Weiße US-Amerikanerin, überrascht von diesem “Ruf”, wie sie es nennt. Sie ist nach Bahia gezogen, hat dort ein Jahr lang gelebt und Einlass in einige der traditionell von Frauen geführten Templos erhalten.

Für Donna Roberts sind die Erzählungen der Mães-de-santo, Ekedes und Makotas, Geschichten über Ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit, Weibliche Führungsqualitäten und über die Kraft von Glauben und Gemeinschaft. Der Womanism dieser Frauen und ihr ausdauernder Kampf gegen Rassismus und für Respekt hat sie tief beeindruckt.

Donna Roberts reist mit ihrem Film in Brasilien, den USA, in Kanada, nach Kuba. Ist sie am Meer, bringt sie Yemanjá Blumen, dankt und geht nicht selten mit weiteren Aufgaben.
 


“Dieses Filmfest klingt nach einer großartigen Sache, einer wirklich seltenen Gelegenheit, ein kulturelles Filmfestival, um mal so zu sprechen, zu erleben.  Mit besten Grüßen aus dem verschneiten Frankfurt.”
(Gary Vanisian, Filmkollektiv Frankfurt)
 


The Magic of Nigeria

Ich weiß nicht, wie Gary das selbst ausdrücken würde, doch ich vermute, er verspürt auch so etwas wie einen “Ruf”. Er und seine Kollegen vom Filmkollektiv Frankfurt widmen sich “unterrepräsentierter Filmkultur”. Moussa Kone, der diesen wunderbaren Blog Orisha Image betreibt, hat mich auf Gary Vanisians Verdienste um die Erhaltung der Arbeiten von Olá Balógun hingewiesen. “Deusa Negra/Black Goddess” - zur Geschichte der Agudas, nach Nigeria zurückgekehrter ehemaliger Sklaven, 1978 der erste von einem Schwarzen in Brasilien gedrehte Film war nur mehr auf einer VHS Cassette vorhanden.

Olá Balógun ist ein Pionier des Nigerianischen Films. Er hatte Ende der 1960er Jahre in Paris studiert und war dann in seine Heimat zurückgekehrt.  Als er Anfang der 1970er seine Filme “Thundergod” und “In the Beginning …” über das Nigerianische Fernsehen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen wollte, blitzte er ab. Die “Magie” der mittlerweile zu empfangenden internationalen Sender und Inhalte war größer, als das Interesse an den Geschichten der Indigenen Traditionen. Mit “Ajani Ogun”, einer filmischen Version des Yorubá Wandertheaters, drehte Balógun 1976 dann einen Kino-Kassenschlager. Der Erfolg dieses Films hat den Boden für die kommerziellen, in kürzester Zeit gedrehten und überlangen Yorubá Movies und die Nollywwod Filmproduktion gelegt - heute die zweitgrösste der Welt. Das war dann allerdings nicht mehr Olá Balóguns Business.

“From the very beginning as a 22-year-old student and his publication of “Shango, suivi de ‘Le Roi-Èlephant’” in Paris to his latest documentary “Gods of Africa in Brazil” (1998) he dedicated his work to the traditional culture in the global setting of modern life.” schreibt Moussa Kone in einem ausführlichen Artikel über Olá Balogún auf seinem Blog. Moussas Quelle ist u.a. Gary Vanisians Buch “The Magic of Nigeria, On the cinema of Ola Balógun”
 


Religion ist Fatalismus. Das Cinema Novo

Zum Abschluss noch ein Schritt weiter zurück in der Historie und ein wenig aus dem Rahmen. Doch das Cinema Novo der 1960er und 70er Jahre ist so bedeutsam und interessant für die brasilianische und lateinamerikanische  Filmgeschichte - auch in Verbindung mit den afrobrasilianischen Traditionen - dass es Erwähnung finden muss. Es war eine "cineastische Linke", die, verschwistert mit dem italienischen Neorealismus (1940er und 50er Jahre) und der französischen Nouvelle Vague (1950er Jahre) Filme gegen faschistoide Systeme und soziales Unrecht machte.

In vielen Filmen des Cinema Novo spielten die Lebenswelten der Schwarzen und Indigenen Bevölkerung eine wichtige Rolle - waren sie doch die Unterdrücktesten der Unterdrückten. Bereits in seinem ersten Spielfilm Barravento (1962) thematisierte Glauber Rocha, der prominenteste Vertreter des Cinema Novo, das Leben einer Candomblé Gemeinschaft von Fischern in seiner Heimatprovinz Bahia. In atmosphärischen Bildern wird das Leben der Schwarzen Community am Meer in Szene gesetzt. Eng verbunden mit der Meeresgöttin Yemanjá, in Ritualen und Capoeira Tänzen verbringen sie ihr Leben, lassen aber zu, dass ein weisser Kapitalist sie ausbeutet. Der junge Firmino, der mit neuen Ideen aus der Stadt in das Dorf zurückkehrt, bringt die Botschaft des Filmemachers mit: “Religion ist Fatalismus, den es zu überwinden gilt. Statt äußeren und undurchsichtigen Dogmen zu folgen, muss der Mensch seinen Weg aus eigener Kraft selbst bestimmen."

In den 1970er Jahren wurde, wie in anderen Kunstsparten, auch im Film des Cinema Novo der “Tropikalismus” bedeutsam. Ein “Einverleiben” von gesellschaftlichen Motiven und Wirklichkeiten, die von den USA und Europa aufgezwungen waren und ein “Wieder-Ausspucken” als etwas typisch Brasilianisches. Eine Bewegung der Emanzipation und Eigenbestimmung des Landes, eine Wende vom Antikolonialismus zum Postkolonialismus.

Einen Film des Cinema Novo werden wir Samstag Nacht bei den Filmtagen zeigen, lasst euch überraschen: Filmtage “Òrun Àiyé - Orixás im Film”, 29-30 Dezember in Stein/AR

Ressourcen / Links

Terra Sagrada, Spirituelles Haus der Sanzala in afro-brasilianischer Orixá-Tradition terrasagrada.info/

Moussa Kone, Orisha Image. Olá Balóguns Magic of Nigeria
orishaimage.com/blog/ola-balogun

Gary Vanisian. The Magic of Nigeria, On the cinema of Ola Balogun. Filmkollektiv Frankfurt 2016

Peter W. Schulze. Strategien ›kultureller Kannibalisierung‹. Postkoloniale Repräsentationen vom brasilianischen Modernismo zum Cinema Novo. Transkript Verlag, Oktober 2015

Bettina Bremme. Movie-mientos. Schmetterling Verlag Stuttgart, 2000