Sanzalas Ruf

15. Februar 2017, Astrid Habiba Kreszmeier


Es gibt Worte, die kommen zu einem, und sie fühlen sich gut an, gross und weit, aber auch haltend, wärmend. Auch wenn man noch gar nicht weiss, wofür sie genau stehen, was sie rufen oder in welchen Dienst sie dich nehmen wollen. Sie kommen zu dir und sind auch schon Freundin und gehören zu deinem Leben.
So war es mit Sanzala.

Sanzala ist ein Begriff aus einer Bantusprache, dem Kimbundu, beheimatet im Norden Angolas und im Südwesten Kongos. Es bedeutet Behausung, Hütte, aber auch Siedlung, Weiler, kleine Stadt und kann auch die Gemeinschaft meinen, die an dem Ort wohnt.

Sanzala heisst auch das kleine Bildungshaus im Appenzellerland und sein bildhaftes Zeichen ist der weise Vogel, der zurückblickt. In seinem Schnabel ein Ei, eine Frucht für die Zukunft, der Sankofa - ein altes Adinkrazeichen aus Ghana.

Was will im Sanzala Bildungshaus gebildet werden? Das Sanzala Bildungshaus will in seinen Veranstaltungen so in unsere Menschheitsgeschichte zurück blicken, dass wir ahnen können, wohin uns die Zukunft weist und welche die guten Schritte in der Gegenwart sind.

Es will zur Erweiterung unseres kulturellen Erinnerungsrahmens einen Beitrag leisten. Wertschätzend, forschend, fragend, einfügend denkend aber auch fühlend, erkennend, wahrnehmend, unverschämt wild denkend.

Das Sanzala Bildungshaus und sein Programm wollen also Erinnerungschichten und Erinnerungsströme ermöglichen, nicht nur in der Zeit - auch im Raum. Die Begegnung und der Dialog von Nord und Süd jenseits üblicher Zuschreibungen, das ist Teil unseres Programms. Name verpflichtet.

Auch die Seelen-Bildung, die Liebes-Bildung, die Netzwerk-Bildung, die Mut-Bildung und Sprach-Bildung rund Themen und Lebensformen, die im Schwung der Dinge leicht verloren gehen, stehen am Programm. Aber zuerst ein Blick zurück.

Das Wort und die Bedeutung von Sanzala ist schon früh mit dem Sklavenhandel verknüpft, das erzählt auch eine Tafel im Museum von São Tomé (Foto von Riki Fink, Übersetzung von Konstanze Thomas).
 

Die Sanzala
Die systematische und organisierte Verstärkung des Handels afrikanisch-stämmiger Sklaven war ein zweckmässiger Ausweg, um die unzureichenden lokalen Arbeitskräfte, die die koloniale Landwirtschaft benötigte, zu ergänzen.
Dieser Prozess wurde infolge der offiziellen Abschaffung der Sklaverei unterbrochen, die aus der Teilung Afrikas in Einflusszonen resultierte und unter den Imperialmächten orchestriert wurde. Dieser Umstand führte am Ende des vergangenen Jahrhunderts (XIX) zur Rekrutierung von Sklavenarbeitern für die Kakao- und Kaffeeplantagen aus anderen portugiesischen Kolonien.
Die Sklaverei ist damit ersetzt durch ein scheinbar (vertragliches) Arbeitssystem, in welchem die Stimme des Arbeiters praktisch nichts galt oder erzwungen war. Der Anstellungsgeber (Prokurist, Vormund) und der Patron (Landbesitzer) bestimmten über das Schicksal der Leibeigenen.
Ob versklavt oder „frei“ – für den Arbeiter war absolute Treue, Gehorsam und unterwürfiges Arbeiten nötig, um eine Behausung, Nahrung, medizinische Hilfe und spirituellen Trost zu verdienen, ohne dass es dabei nötig war, das Landgut zu verlassen auf dem alles vorhanden war: das Krankenhaus, Unterkunft (a sanzala1), eine Kantine (o caldeiro da fuba2), die Kirche.
Auf dem Landgut, das durch die feudalen Strukturen der Grossländereien des iberischen Adels geprägt war, entschied der einzelne Patriarch alles: über die Art und Weise der Beziehungen zwischen den Leibeigenen untereinander und sogar über die Beziehungen der Arbeiter nach draussen.“

Inhalt der Fussnoten von mir ergänzt:
1 sanzala: ursprünglich afrikanisches Wort für Wohnung, Unterkunft
2 caldeiro oder caldeirão da fubá: Kessel für Maniok, Mais, Reis, optisch vielleicht so ähnlich wie unser Oba-Kessel

 

In Brasilien wurde dann aus der Sanzala eine Senzala, zur Sklavenhütte oder auch jenem Bereich, wo die versklavten Menschen wohnten. Unter dem Begriff Senzala habe ich die Senzala kennengelernt.

Ich als Weisse habe in Brasilien freilich nicht in einer Senzala gelebt, auch wenn es sie unter anderem Namen immer noch zur Genüge gibt. Aber das ist ein anderes Thema (genau genommen ist es kein anderes Thema!), aber über das werde ich ein ander Mal schreiben.

 

Ich vermute, dass ich Senzala über Bücher kennenlernte, wie jenes so bekannte von Gilberte Freyre. Als einen Spiegel des Menschlichen und seiner Machtstrukturen. Aber auch als jenen Raum, in dem trotz allem Leben stattgefunden hat und vieles auch entstanden ist. Unter anderem das, was es heute noch als Religionen afrikanischer Wurzel in Südamerika gibt.

Später dann im konkreten Erleben dieser Religionen mit den heiligen Hütten und Hinterhöfen, den heiligen Bäumen und Kräutergärten, ihren irdischen Ritualen, in denen für die in der Natur wohnenden Gött*innen, die Ahnenkräfte und die Menschen gekocht und dann miteinander gegessen, getrommelt und getanzt, in Stille gelauscht und auf Strohmatten geschlafen wird.

 

Auf der Suche nach dem guten Namen für das kleine Bildungshaus, das im Geiste jener Traditionen afrikanischer Wurzel ausstrahlt - da kam Sanzala zu uns. Das Wort ruft uns grosszügig zu, wir rufen zurück, eine lange Geschichte nimmt wieder einen neuen Anfang. Name verpflichtet.